A different game: Herausforderungen im B2B E-Commerce
Dass E-Commerce in der Gesellschaft mittlerweile angekommen ist, muss wohl auch der größte Skeptiker gemerkt haben. Mehr als zwei Drittel aller Deutschen kaufen gemäß Statista mittlerweile online ein. In den ersten Jahren hat die E-Commerce-Revolution vor allem das Endkundengeschäft bzw. die sogenannten B2C-Händler betroffen und in Branchen wie Bücher, Elektronik oder Sportartikeln haben E-Commerce-Händler empfindliche Marktanteile gewinnen können. Im Vergleich zu den Umsätzen die im B2B bereits jetzt schon online erwirtschaftet werden, muten die Umsätze aus dem B2C fast schon wie Peanuts an.
Rund 95 Prozent des gesamten E-Commerce-Marktvolumens wird durch B2B E-Commerce generiert. Dabei macht der Onlineumsatz eigentlich nur einen sehr geringen Anteil aus. Bisher!
B2B E-Commerce muss nachziehen
Im Umfeld der geschäftlichen Kommunikation werden neue Technologien oftmals sehr schleppend übernommen. Der Handel zwischen Unternehmen ist da keine Ausnahme und bis heute maßgeblich durch die direkten Beziehungen zwischen Vertriebsmitarbeitern auf der einen und Einkäufern auf der anderen Seite geprägt. Spätestens mit dem kontinuierlichen Generationswechsel im Einkauf von Unternehmen wird jedoch die Erwartungshaltung gesteigert, die gleichen technisch forcierten Annehmlichkeiten wahrnehmen zu können, die man aus dem privaten Umfeld schon lange nutzt. Somit wächst der Druck auf Unternehmen im Umfeld der Business-to-Business-Geschäfte (B2B), ihre Vertriebsprozesse zu digitalisieren und den Nutzergewohnheiten Ihrer Käufer anzupassen.
Never change a well-running system?
Wichtig ist aber, nicht einfach die bekannten Applikationen aus dem Endkundengeschäft (B2C) kopflos zu übernehmen. Für den erfolgreichen Betrieb eines B2B Online Shops ist fundamental, auf die veränderte Art der Kundenbeziehung einzugehen: Das B2B Geschäft richtet sich sehr oft an einen sehr stark eingegrenzten Kundenkreis, vor allem wenn es sich um stark spezialisierte Zwischenprodukte handelt. Gleichzeitig ist die Anzahl der Anbieter sehr überschaubar. Hieraus folgt, dass Kundenbeziehungen im B2B deutlich langlebiger sind und oftmals auch von der persönlichen Beziehung zwischen Vertretern beider Unternehmen abhängen.
Hierin ist auch eine weitere Ursache für die verzögerte Übernahme von Webtechnologien für B2B Transaktionen zu sehen – never change a well-running system.Sollte allerdings nur eine Seite nicht mehr zur Verfügung stehen, kann es potenziell zu einer Störung der Kundenbeziehung kommen. Eine Gefahr, die man nicht unterschätzen sollte.
E-Commerce im B2B soll nun die persönliche Kundenbeziehung keineswegs ersetzen, sondern dazu beitragen, die Kundenbeziehung weiter zu vertiefen. Hierzu ist notwendig, dass Kunden befähigt werden, einfache Bestellungen schnell, einfach und effizient selbst abzusetzen, ohne auf eigenen Kundenkonditionen zu verzichten. Dadurch werden Vertriebsmitarbeiter entlastet und bekommen die notwendige Zeit, sich um spezifische oder besonders werthaltige Anfragen oder um Neukundengeschäft zu kümmern und damit das eigene Unternehmen nachhaltig voranzubringen.
Eine komplexere Customer Journey
Dementsprechend müssen Unternehmen im B2B Umfeld die spezifischen Anforderungen und Wünsche der eigenen Kundengruppen erkennen und diese möglichst auch in eine maßgeschneiderte Customer Experience übersetzen. Denkbare optimierte Szenarien für die Hinführung der Kunden zu den richtigen Produkten sind:
- In diversen B2B Szenarien spielt die effiziente Wiederholung wiederkehrender Einkäufe eine zentrale Rolle. Hierzu sollten sowohl vergangene Einkäufe leicht wiederholt oder Warenkörbe für verschiedene Szenarien abgespeichert werden können. Fallen Produkte aus dem Sortiment, sollte automatisch für Ersatzvorschläge gesorgt werden.
- Experten-Kunden möchten sich in der Regel nicht mit ineffizientem Surfen in Kategorien oder Suchmasken auf, sondern wollen schnell Produkt-IDs und Mengen eingeben. Hierzu eignen sich Schnelleingabemasken, die möglichst noch mit Autovervollständigung und positivem Feedback mittels grundlegendem Produktinformationen unterstützen.
- Oft suchen Kunden nicht nur nach bestimmten Produkten, sondern nach Lösungen für ein vorliegendes Problem. Wenn eine Maschine gerade aufgrund eines Defekts steht, möchte man einfach nur schnellstmöglich nach einem geeigneten Ersatz suchen. Schafft man im Rahmen seiner Applikation eine adäquate Abbildung der eingesetzten Maschine und listet unterschiedliche Möglichkeiten der Problemlösung, deren jeweilige Verfügbarkeiten und Preise auf, löst man gleich mehrere Probleme des Kunden.
- Natürlich sollte darüber hinaus immer noch eine Auflistung der verfügbaren Produkte und eine möglichst relevante Produktsuche angeboten werden, jedoch sollte auch die Auswahl und Sortierung die jeweiligen Kundenanforderungen und -verhaltensweisen ins Kalkül nehmen. Mitunter ergibt sich hieraus eine unterschiedliche Produktauflistung für jeden einzelnen Kunden.
Kunden müssen Ihre individuellen Konditionen beibehalten können
Überhaupt ist Individualität ein zentraler Faktor. Durch die jahrelange individuelle Vereinbarung von Konditionen haben Kunden gelernt, ihre Sonderkonditionen regelmäßig bei ihrem Ansprechpartner einzufordern. Dementsprechend wird eine B2B Plattform keine Akzeptanz finden können, wenn der Kunde dort nicht seine spezifischen Konditionen vorfindet. So ist eine Einführung einer B2B Plattform auch mit diversen Standardisierungen verbunden.
Darüber hinaus muss auch die Organisation des Einkaufs beachtet werden. Je größer das Unternehmen, desto wahrscheinlicher sind am Einkaufsprozess mehrere Personen beteiligt, welche die Applikation mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Zielsetzungen nutzen. So wäre beispielsweise denkbar, dass der Warenkorb durch einen Mechaniker gefüllt wird, der die besagte defekte Maschine repariert. Dieser ist dann jedoch u.U. nicht befugt, die Bestellung auch wirklich abzusetzen, weshalb in diesem Fall eine Übergabe des Warenkorbs zwischen mehreren Benutzern des gleichen Unternehmens stattfinden muss.
Der B2B Shop sollte eine zentrale und performante Anlaufstelle für die Kunden sein
Natürlich liegen all diese Kundendaten bereits in den Back Office-Systemen wie CRM (Kundendaten / Ansprechpartner), ERP (Bestellhistorie) etc. der Unternehmen vor. All diese Informationen sollten im Rahmen der E-Commerce-Applikationen verwendet werden, um dem Kunden eine angemessene Customer Journey zu ermöglichen.
Gleichzeitig verstehen sich B2B E-Commerce Plattformen auch immer als Customer Self Care Portale, über welche sie ihre eigenen Kundendaten schnell und einfach pflegen können. Dementsprechend braucht es einen dauerhaften Datenaustausch zwischen der Web-Plattform und den Back Office-Systemen. Zusammenfassend kann man sagen, dass B2B einfach andere Schwerpunkte setzt als das Endkundengeschäft. Es geht weniger um die optisch herausragende Inszenierung von Produkten für eine anonyme Zielgruppe, sondern um die effiziente Abwicklung von geschäftlichen Transaktionen.
Eine B2B Plattform ist eine systemarchitektonische Herausforderung
Dass der E-Commerce auch im B2B angekommen ist, kann man auch daran erkennen, dass immer mehr E-Commerce Plattformen mit B2B Editionen oder gar reine B2B Plattformen entstehen. Inwiefern es sinnvoll ist, eine derartige Komplexität in ein einzelnes großes System zu packen, bleibt per se zu bezweifeln. B2B E-Commerce sollte also nicht als Sache eines einzelnen Online Shops verstanden werden. Dazu kommt, dass keine B2B Lösung der anderen gleicht. Unterschiedliche Produktportfolios, Kundenanforderungen und allgemein Daten und Prozesse, die im Rahmen von Online Shops im B2B adressiert werden müssen, sprechen gegen eine One-fits-all-Strategie für Online Shop Software.
Vielmehr sollte B2B als eine anspruchsvolle systemarchitektonische Aufgabe verstanden werden, die den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Unternehmens Rechnung trägt. Dabei geht es darum, eine Anordnung von verschiedenen Systemen zu erreichen, die eine effiziente Kommunikation zwischen Back Office-Systemen auf der einen und dem Online Shop auf der anderen Seite schaffen können.
Mit einem MVP den Einstieg in den B2B E-Commerce finden
B2B E-Commerce Plattformen sind keine kleinen, beschaulichen Projekte, sondern eher Herausforderungen, die gern unterschätzt werden. Daher ist auch in B2B Online Shop Projekten Agilität Trumpf. Es sollte zunächst ein Minimum Viable Product (MVP) definiert werden, welches den Kunden bereits ersten Nutzen spendet. Darüber hinaus sollte dann direkt Feedback von den Nutzern der Plattform eingesammelt werden und in die weiteren Schritte der Entwicklung mit einfließen. Dies ist aufgrund der maßgeschneiderten Natur aber noch wichtiger als bei anderen E-Commerce Projekten.
Viele Unternehmen müssen hier über ihren eigenen Schatten springen und vom Dogma der Großprojekte mit Pauschalangeboten abweichen. Planungssicherheit ist sicher auch 2017 noch ein hohes Gut, aber ein vorher festgelegtes Budget in den falschen Kanal gegossen, führt retrospektiv betrachtet trotzdem zu einem Verlust.
Es ist höchste Zeit, endlich loszulegen!
Es bleibt nur noch einmal darauf hinzuweisen, dass wahrscheinlich kaum eine Option langfristig so teuer ist wie die, heute gar keine Maßnahmen im B2B E-Business zu ergreifen. Es ist auf jeden Fall zu empfehlen, sich möglichst zeitnah darüber Gedanken zu machen, mit welchen Funktionen den eigenen Kunden möglichst schnell und kosteneffizient ein verbesserter Zugang zu den eigenen Produkten und Verkaufsprozessen angeboten werden kann.
Über den Autor
Michael Türk verbindet als E-Commerce Consultant und Key Account Manager bei der E-Commerce Agentur Flagbit aus Karlsruhe technologisches Know-How mit Business-Expertise. Er hat seit 2007 über 100 E-Commerce-Projekte erfolgreich betreut und ist einer von nur ca. 30 Personen weltweit, die alle Zertifizierungen der Magento-Beratung und Entwicklung vereinen kann. Außerdem ist Michael Türk ein regelmäßiger Sprecher auf verschiedenen E-Commerce-Veranstaltungen weltweit.